Der goldene Herbst zog ins Land. Das Laub leuchtete in den schönsten Farben; von zitronengelb bis purpurrot. Auch die letzten Gartenfrüchte wurden nun reif. Sie richteten ihre prallen Körper noch einmal entgegen der wohligen Wärme, die die Sonne am Ende ihrer Kräfte um diese Jahreszeit zur Erde sandte. So tat es auch der goldgelbe Kürbis. Schwer und träge wie ein satter, vollgefressener Bauch lag er auf dem Feld. Gut gedüngt, nicht zu nass und nicht zu trocken wuchs und wuchs er und ahnte wohl nicht, dass es je irgendjemanden geben könnte, der diesem herrlichen Dasein ein Ende bereiten würde. Aber da hatte er sich geirrt. Eines Tages, gerade als die Herbstsonne wieder einmal seinen fetten Bauch (oder war es das Gegenteil?) streichelte, kamen Leute, die ihn auf ein großes Tuch rollten. Empört über diese Störung versuchte der Kürbis sich noch schwerer zu machen. Doch dann schöpfte er neue Hoffnung. Seit Monaten lag eine Seite von ihm nur auf der dunklen, kalten Erde. Nun hat man ihn gedreht, damit er sich auch dort in der Sonne wärmen konnte. So dachte der Kürbis gerade noch glücklich, als ein scharfer Schnitt ihn von seiner Ranke trennte. Ehe er sich versah, packten die Leute alle 4 Zipfel des Tuches, auf dem er lag und schleppten ihn in ein Auto. Dabei stießen und rieben sie ihn, dass er vor Wut über diese unsanfte Behandlung am liebsten dicke Warzen bekommen hätte. Schließlich trat wieder Ruhe ein und um ihn herum wurde es dunkel. Ein leichtes Rütteln ließ ihn manchmal ein wenig hin und her rollen. Und obwohl die Leute weg waren, wusste der Kürbis, dass irgendetwas nicht stimmte. Die Schnittstelle schmerzte. Wo war der herrliche Geruch nach Erde und Mist? Und wo war seine Ranke, die er so oft verdrängt hatte, die ihn aber mit allem versorgte, was er zum Wachsen brauchte? Sein ganzes Leben lang hatte sie sich neben ihn her geschlängelt. Still und bescheiden hatte sie dem Kürbis Platz gemacht, damit er wachsen und immer dicker werden konnte. Ihn hatte man bewundert. Die Ranke blieb unbeachtet, obwohl sie doch so viel für ihn getan hatte. Je länger der Kürbis an seine Ranke dachte, desto mehr schämte er sich und desto mehr fehlte sie ihm. Plötzlich riss helles Licht ihn aus seinen Gedanken. Da waren sie wieder. Die Leute, die ihn hierhergebracht hatten, trugen ihn nun in ein Haus. In einem hellen Raum blieb er liegen. Na bitte, hier schien auch die Sonne und wozu brauchte ein stolzer Kürbis schon einen Misthaufen, ein Feld oder ganz und gar eine Ranke? Er war doch erwachsen und selbständig. Ach, wird das herrlich; faulenzen, wachsen und sich von der Sonne wärmen... Vergessen war die Angst, der scharfe Schnitt und die Sehnsucht nach seiner alten Umgebung. Übermütig schwelgte der Kürbis in seiner Vorstellung von der wunderbaren Zeit, die ihm bevorstand. Wer ganz genau hinsah, konnte bemerken, wie er sich blähte und dabei seinen Körper vor Freude leuchtend orangerot färbte. Ach hätte er nur ahnen können, was die Frau mit dem großen Messer in der Hand vorhatte. "So, mein Freund, jetzt bist du dran!" Sie kniete sich vor ihn und .... stach zu ... mitten in die pralle, feste Frucht. Mit beiden Händen hielt sie das Messer fest. Es kostete sie einen enormen Kraftaufwand, aber so schlitzte sie Stück für Stück den dicken Kürbisbauch auf. Zwischendurch wischte sie sich den Schweiß von der Stirn. Leise schimpfte sie vor sich hin: "Mein Gott, das ist ja echte Knochenarbeit! Ich hätte eine Säge nehmen sollen. Wie soll ich da je fertig werden?....." Aber sie schaffte es doch, den Riesenkürbis in viele kleine Stücke zu schneiden. Der Duft, der sich nun ausbreitete, war vergleichbar mit dem von Melonen und Gurken. Arbeitsreiche Tage vergingen, bis 37 kg Kürbislebendgewicht zu Konserven verarbeitet worden waren. Auf den Etiketten stand dann: "Kürbis süß-sauer", "Senfkürbis" oder "Kürbismarmelade" Ja, der Stolz einer fleißigen Hausfrau ist der süßsaure Alptraum eines gesunden, sonnenhungrigen Kürbisses. Doch wen interessiert das schon?!
Ein Kürbisleben