Im April kann es bereits sommerlich warm sein, es lag jedoch auch manchmal noch Schnee. Wie würde das Wetter am Tag meiner Jugendweihe sein? Es wurde also auch noch ein Mantel benötigt. Hier hatten wir Glück und erwischten im Konsument Warenhaus ein besonders raffiniertes Teil. Das Mäntelchen war hellgrau und hatte an den Schultern jeweils eine Art Flügel, die wie große Schulterpolster wirkten. Clever! Und so wahnsinnig elegant! Bei Wind konnte es jedoch gefährlich werden. Wenn der sich unter den Flügeln verfing, drohten diese über meinem Kopf zusammenzuschlagen. Dann war ich für einen Moment blind. Nur das Eigengewicht verhinderte ein unplanmäßiges Abheben.
Meine Jugendweihe 1973
weiter zurück
Eine betagte Omi ließ sich unsere Vorstellungen erklären und nahm nun Maß. Es sollte ein schlichtes, gerade geschnittenes, ärmelloses Kleid mit einem runden Ausschnitt werden. Ein besonderes Attribut stellte ein kleines Bolero Oberteil mit kurzen Ärmeln dar. Es dauerte nicht lange bis zur ersten Anprobe. Kleid passte, Bolero passte, alles schick. aber … die Länge. Dieses Kleid reichte mir bis über die Knien. Und das ging ja nun überhaupt nicht … nicht 1973. Wir mussten die Weltreise noch einmal auf uns nehmen. Die nette Omi empfing uns freundlich und präsentierte ihr geändertes Werk. Diesmal lagen die Knien frei und ich lächelte tapfer. Meine Mutter ebenfalls, obwohl sie um die aktuelle sehr kurze Minimode wusste und dieses Kleid bestenfalls für eine Rentnerin geeignet gewesen wäre. In meinem Alter kam es darauf an, dass der Hintern bedeckt war. Die Beine sollten fast komplett sichtbar sein. Ohne Nähmaschine kürzte meine Mutter das Kleid schließlich nochmals entschieden.
So ähnlich war die Vorstellung - aber ohne Gürtel, hellblau und seeehr kurz.
Das Problem Garderobe war also auch gelöst. Fehlt noch der Kopf. Ich habe feines, ganz glattes Haar und wünschte mir immer Locken. Wie viele andere auch nahm ich die Jugendweihe zum Anlass, mir eine Kaltwelle zaubern zu lassen. Damals wurde die Behandlung auch Krause genannt, denn die gefährlich scharfen Chemikalien auf Kopfhaut und Haaren um die dünnen knochenförmigen Wickler bewirkten tatsächlich einen Krauskopf, der dann nur mit größeren Lockenwicklern zu bändigen war. Gesund war die Prozedur nicht. Doch wer schön sein will, muss leiden. Im Gegensatz zu heute war der Friseur damals noch durchaus bezahlbar. In der Lauchstädter Straße gab es einen kleinen Kellerladen, den ich dafür aufsuchte. Die kleine Straße übt auf mich einen besonderen Reiz aus. Die überwiegend schmucklosen, mehrstöckigen Wohnhäuser stehen dicht beieinander gepresst. Die Häuserzeile wurde einmal unterbrochen. Etwas zurückgesetzt gab es hier einen niedrigeren Bau, der das Lichtspieltheater Capitol beherbergte. In diesem Kino war ich als Kind häufig zu Gast. Der Friseur im Kellerladen befand sich direkt daneben. Gegenüber auf einem Hinterhof gab es einen katholischen Kindergarten. Die Nonnen in ihrem schwarzen Habit wirkten auf mich immer ein wenig furchteinflößend. Wie muss das erst für die kleinen Kinder gewesen sein? Im Haus neben dem Kindergarten wohnte Carmen. Sie ging in meine Klasse und suchte den selben Friseur auf. Ich erinnere mich daran, dass Carmen früher ein Schlüsselkind war. Das ist in dieser Form wohl erst Heutzutage etwas Ungewöhnliches. Carmens Eltern waren beide berufstätig und kamen erst gegen Abend nach Hause. So trug das Mädchen einen Bindfaden mit dem Wohnungsschlüssel um dem Hals. Ich fand das schick. Leider war eine solche Maßnahme bei mir nur ganz selten nötig. Meine Eltern waren zwar ebenfalls beide voll berufstätig, konnten es jedoch dank ihres Schichtdienstes meist so einrichten, dass zum Schulschluss einer von ihnen zu Hause war. Was Kinder doch manchmal für seltsame Ansichten hegen?! Jetzt waren wir aber junge Damen, die am Tag unserer Jugendweihe eine „Privataudienz“ bei unserer Friseuse haben sollten.
Halle Lauchstädter Straße alter DDR-Friseursalon
viel
vorher
Kaltwelle
nachher
Formel für tolle Locken