Vor allem die, die außen lagen und nicht ganz vom Teig zugedeckt wurden, mussten besonders leiden. Rosi ruhte
mitten im Stollenbauch. Dort konnte sie nicht verbrennen, blieb rund und saftig.
Schließlich sah der Stollen schön hellbraun aus und wurde aus dem Herd
genommen. Er wurde eingebuttert und eine Menge weißer Puderzucker bedeckte bald
seinen Rücken, dass es aussah, wie ein Berg, auf den es frisch geschneit hatte. Unsere
kleine Rosine war so stolz, nun zum schönsten Weihnachtsstollen, den sie kannte, zu
gehören. War dieses Glücksgefühl noch zu übertreffen?
Nachdem sich ihre Nachbarn von der Hitze erholt hatten, hörte sie es tuscheln und
raunen.
"Bald kommen wir auf den Weihnachtskaffeetisch."
"Das ist das Schönste, was einem Weihnachtsstollen passieren kann, am Heiligen Abend,
dem schönsten Tag des Jahres, verspeist zu werden."
"Die Menschen stellen an diesem Tag einen geschmückten Tannenbaum auf. An den hängen
sie glänzende Kugeln und Fäden, und unzählige Kerzen erleuchten ihn. Es gibt keinen
schöneren Baum."
Wieder wurde Rosi von Sehnsucht beschlichen.
"Wie lange dauert es noch, bis ich das auch erleben darf?"
Rosi konnte sich nicht vorstellen, dass es noch schöner werden sollte.
Aber der Tag kam, an dem der Stollen wiederholt mit Puderzucker
bestreut und auf eine wertvolle Porzellanplatte gelegt wurde. Rosis
kleines Rosinenherz begann schneller zu schlagen. Nun war also der
Höhepunkt ihres Daseins zu erwarten. Und sie wurde nicht
enttäuscht. Was war das für eine Stimmung, die ihr da
entgegenschlug, als die Tür zum Festsaal geöffnet wurde und die
Platte mit dem duftenden Stollen den schönsten Platz auf der
festlich gedeckten Tafel erhielt! Rosi erblickte auch den
Weihnachtsbaum, von dem sie schon gehört hatte. Er sah noch viel
schöner aus, als ihr beschrieben wurde. Rote und silberne Kugeln
schmückten ihn. Glänzendes Lametta hing schwer herab. Dazwischen leuchteten kleine bunte Figuren und an der Baumspitze
prangte ein heller Stern. Aber am schönsten waren die vielen kleinen Lämpchen, die goldgelb ein warmes Licht ausstrahlten. Oh,
das war ein wunderschöner Baum! Unten, rund um den Stamm lagen viele bunte Pakete mit dicken Schleifen und kleinen
Kärtchen. Von irgendwoher ertönte ein Glöckchen. Die Tür öffnete sich und festlich gekleidete große und kleine Menschen
gingen zum Baum. Vor allem den kleinen Leuten sah man die Aufregung an, als sie mit leuchtenden Augen die Pakete öffneten.
Das waren also die Geschenke, die sich die Menschen machten, dachte Rosi und sah, wie sie sich freuten und umarmten. Dann
stellten sich die Menschen um den Baum und begannen zu singen. Auch Rosi und die anderen Rosinen stimmten mit ein; ganz leise,
wie das bei Rosinen üblich ist. Nur sie selbst konnten sich hören. Alle waren von so unbeschreiblich viel Glück und Freude erfüllt.
Diese Stimmung hielt auch weiterhin
an, bis alle am Tisch saßen, der
Kaffee duftete und der Stollen
angeschnitten wurde.
Rosi wusste, dass
nun die letzten
Minuten ihres
Daseins
angebrochen
waren. Sie war
dankbar dafür,
dass sie das
Schönste erleben
durfte, was eine
Rosine erleben
kann. Ihr letzter
Gedanke war:
"Ich muss eine
ganz besondere Rosine sein."
zurück
Dann wurde sie von einem großen, pausbäckigen Jungen vernascht.