Mit meiner Vorliebe für Lockenköpfe brachte ich meine Mutter mehrmals in arge Verlegenheit. So begegnete uns auf einem Spaziergang einmal ein junger Mann, der meinem damaligen Schönheitsideal in jeder Beziehung entsprach. Das musste ich natürlich gleich lauthals verkünden. Als wir etwa auf gleicher Höhe waren, verschlug es meiner Mutter die Sprache, denn alle Passanten in der näheren Umgebung konnten meine entzückte Feststellung hören. “Mutti, guck mal! Der Onkel hat aber schöne Locken!” Der “hübsche Onkel” grinste und meine Mutter zog mich energisch und mit hochrotem Kopf weiter. Ich verstand ihr Verhalten nicht recht. Dass man über hässliche Menschen nicht lästert, wusste ich ja, aber warum durfte man keine Komplimente machen, wenn jemand mit so wundervoller Schönheit gesegnet ist? Es muss im gleichen Jahr gewesen sein, als mir der Nikolaus eine besondere Überraschung bescherte. Am 5. Dezember hatte ich mal wieder nichts Besseres zu tun, als unbedingt meinen Kopf durchsetzen zu wollen. Es ist aber auch schlimm, wenn einem genau das verboten wird, was einem die meiste Freude bereitet. Ich kann mich nicht mehr genau an den Grund des Ärgernisses erinnern, jedenfalls gab es Anlass zu ernsthaften Ermahnungen. Die müssen aber nicht gefruchtet haben, denn meine Eltern hielten es für angebracht, mich beim Nikolaus zu verpetzen. Sollte der sich doch eine angemessene Strafe einfallen lassen! Sauber und ordentlich stellte ich also am Abend meine Stiefel direkt vor den Eingang, damit sie auch wirklich nicht übersehen werden konnten. Mutti und Vati beobachteten mich am nächsten Morgen aufmerksam, als ich voller freudiger Erwartung mein Schuhwerk begutachtete. Ich fand weder Süßigkeiten, noch Nüsse, auch keine Äpfel oder Apfelsinen. Aber das, was drinsteckte, war auch nicht schlecht. Eine tolle Idee vom Nikolaus, praktisch und originell. “Mutti, Mutti, der Nikolaus hat mir Kartoffelchen gebracht!” Nein, keine Marzipankartoffeln! Meine Stiefel waren bis zum Rand mit ganz normalen Erdäpfeln gefüllt, die ich nun stolz und glücklich meinen erstaunten Eltern präsentierte. Heute kann ich nicht mehr sagen, weshalb ich mich tatsächlich darüber freute. Der Grund dafür war wohl einfach nur die Tatsache, dass mich der Nikolaus nicht vergessen hatte. Jedenfalls war meine Bestrafung gründlich misslungen. Ich bekam die Süßigkeiten nachgereicht und meine Eltern hatten nicht mich, sondern sich selbst erzogen. Apropos Süßigkeiten; welches Kind mag sie nicht? Ich war da nicht besonders wählerisch, nur Vollmilchbonbons liebte ich nicht so sehr. Aber gerade die gab es in einer runden Pappdose mit der Abbildung eines hübschen, blauäugigen Jungen mit unnatürlich roten Lippen und blonden Locken. Ich liebte diesen Bengel und so bekniete ich meine Mutter, mir die Bonbons zu kaufen, um mich am Bild dieses Pappschachteladonis zu ergötzen. Ihm zuliebe aß ich dann auch einige dieser widerlich süßen Bonbons, aber eigentlich hätte es die Verpackung ruhig auch ohne Inhalt geben dürfen. Von nun an teilte ich meiner Mutter immer heimlich mit, wenn mir jemand namentlich gut gefiel. Dabei vergaß ich auch nie zu erwähnen, dass ich besonders attraktive Lockenköpfe später heiraten werde. Meine Mutter nickte dann ernsthaft und ich fühlte mich bei diesen “Von-Frau-zu-Frau-Gesprächen” verstanden. Damals teilte ich die Menschen - unabhängig von ihrem Geschlecht - in 2 Gruppen ein: die Netten und die Doofen. Nett waren alle männlichen Lockenköpfe und die Leute, die nicht gleich Theater machten, wenn ich ihnen zur Begrüßung die linke Hand gab. Bis zu meiner Einschulung war ich Linkshänder, musste mich aber in der 1. Klasse umgewöhnen, was mir sehr schwerfiel. Die “doofen” Leute verlangten von mir immer die “schöne” Hand. Ich fand meine linke Hand genauso schön, aber das wollten die nicht akzeptieren. Nach der Diskussion über die Schönheit meiner Hände, folgte dann in der Regel der in meinen Augen heuchlerische, unsinnige Verlegenheitssatz: “Bist du aber groß geworden!” Ich hasste diese Floskel, lächelte treuherzig und dachte mir: Die sind doof!