Das Peißnitzhaus
am Tag des offenen Denkmals
Manchmal kommt es ganz unverhofft und man gehört plötzlich zu den very important people. Am Tag des offenen Denkmals entschlossen wir uns, zur Peißnitzinsel zu fahren, um uns dort das Peißnitzhaus anzusehen. Von außen haben ich es schon seit Jahrzehnten bewundert, aber ich war noch nie drin. Die Gelegenheit war also günstig. Ich sollte etwas zu diesem Gebäude erzählen. Es wurde 1893 als Gesellschaftshaus mit Kaffeegarten errichtet. Die Hallenser drängte es ins Grüne, nachdem es in der Stadt immer enger geworden war und durch viele Fabriken die frische Luft immer knapper wurde. Ein dreigeschossiger Putzbau mit reichen Ziegelgliederungen und großen Veranden, Terrassen und Wintergärten sollte die Sonntagsausflügler anziehen. Dominat ist ein Aussichtsturm des im Jugendstil errichteten Gebäudes. Aber auch innen sorgten Stuckelemente und eine besonders schöne getäfelte Decke im ehemaligen Tanzsaal für Prunk und Exklusivität. Heute bietet sich dem Besucher indes ein trauriger Anblick. Die Fenster sind zugemauert, die Fassade wurde durch Sprayer verschandelt. Vandalen verschafften sich Zutritt, plünderten und legten Feuer. Ein Trauerspiel. Trotzdem ist die Bausubstanz noch so gut, dass die Erhaltung des Hauses unbedingt sinnvoll ist. Interessant ist zudem die wechselhafte Geschichte des Hauses. Immerhin handelte es sich nicht immer um eine idyllisch gelegene Restauration und prächtiges Ballhaus. In den 1920er Jahren zog hier eine Wald- und Erholungsschule ein. Etwa 10 Jahre später tummelte sich die Hitlerjugend. Unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg diente es wieder als Schule und Krankeneinrichtung, um dann den Sowjetischen Streitkräften als Kulturhaus übergeben zu werden. Seit 1950 stand das Peißnitzhaus den jungen Pionieren offen. In der DDR wurden überall Paläste für junge Pioniere geschaffen. In Halle war es nun das Haus auf der Peißnitzinsel. Fast 1000 Pioniere besuchten hier wöchentlich unterschiedliche Veranstaltungen der Arbeitsgemeinschaften auf den Gebieten Naturwissenschaft, Technik, Kunst, Sport und Touristik. In nächster Umgebung wurden großartige Spielplätze mit Riesenrutsche und vielen Karussells geschaffen. Es entstanden ein Planetarium und ein Verkehrsgarten. Als Pioniereisenbahn tuckerte eine Schmalspurbahn über die ganze Insel. Sie ist übrigens auch heute noch in Betrieb. Die DDR war ein sehr kinderfreundliches Land und so entwickelte sich die gesamte Peißnitzinsel zu einem Kinderparadies. Im Sommer 1989 wurde das Haus geschlossen. Es wurde eine Komplettsanierung anberaumt. Die Arbeiten wurden jedoch eingestellt und das Unglück nahm seinen Lauf. Wasserschäden vernichteten viele der schönen Stuckarbeiten, dreimal wurde gebrandschatzt und mehrfach geplündert. Schließlich wurde ein Verein gegründet, der sich dem Werterhalt des Hauses widmet und weitere Schäden verhindert. Es wurde nach einem Käufer oder Sponsor gesucht. Tatsächlich bekundete Mitte der 1990er der Schlagersänger Drafi Deutscher großes Interesse. In der Zeitung wurde viel berichtet, doch wusste zu dieser Zeit niemand, dass der Herr längst pleite und hoch verschuldet war. Leider ist dem Verein nicht viel mehr möglich, als sich für die Schadensbegrenzung einzusetzen. Es wäre eine große Bereicherung für die Stadt Halle, wenn das Peißnitzhaus seinen alten Glanz zurückbekommt, wenn es wieder belebt wird und eine sinnvolle Aufgabe erfüllen kann. Doch zurück zu meinem Erlebnis am 13. September 2009. Zusammen mit meinem Mann Klaus wanderte ich also über die Ziegelwiese, über die Peißnitzbrücke zum einstigen Pionierhaus. Vor uns liefen ein paar ältere Frauen, die scheinbar ganz zielsicher in dieselbe Richtung strebten. Wir überlegten uns, was das wohl für Leute wären, die sich ebenfalls für das Pionierhaus interessierten. Es könnten ehemalige Pioniere sein, die sich an schöne Stunden in ihrer Pionierarbeitsgemeinschaft erinnern, oder Lehrer und Betreuer. Diese Frauen dort waren ganz sicher Lehrerinnen. Um 10.00 Uhr sollte eröffnet werden. Vor dem Haus tummelten sich bereits einige Leute. Ein Mann in unserem Alter sprach die Frauen an. Aus einiger Entfernung hörten wir Fetzen des Gespräches. Es wurde das Peißnitzhaus genannt und schließlich verwies er die Frauen zu den Kolonnaden gegenüber, wo man doch Platz nehmen möge. Dann kam er auf uns zu und fragte: „Gehören Sie auch dazu?“ Welchen Grund hätten wir sonst, zu dieser Zeit an diesem Ort zu sein? Also antworteten wir mit einem klaren „Ja!“ So setzten also auch wir uns auf eine der Bänke in den Kolonnaden…etwas weiter hinten, um besser die Leute zu beobachten. Vorn standen Thermoskannen und Geschirr bereit. Sehr bald stürmten die Herrschaften nach vorn, um sich mit Kaffee und Plätzchen zu versorgen. Wir hielten uns diskret zurück. Wer hat denn schon etwas zu verschenken? Klaus warf sicherheitshalber noch einen Blick ins Portemonnaie. Ganz sicher wird man um eine Spende bitten. Auffällig waren die überwiegend älteren Leute. Sollten sich tatsächlich nur ehemalige Lehrer für dieses Haus interessieren? Viele hatten sich regelrecht landfein gemacht. Eine Dame mit einem pinkfarbenen Turban, passendem Lippenstift und einer großen weißen Margerite am Revers fiel besonders auf. Man kannte sich, man schüttelte Hände, man plauderte miteinander. Nur Klaus und ich hielten uns diskret zurück. Ein Projektor wurde aufgebaut und das Mikrofon eingerichtet. Wir erwarteten eine kurze Einführung, in der uns über die Geschichte des Hauses erzählt wurde. Der offene Raum füllte sich. Es wurden weitere Bänke herbeigeschafft und auf jeden Tisch stellte man ein Glas mit frischen Wildblumen. Immer mehr Leute stürmten herbei und alle schienen irgendwie sehr wichtig zu sein. Ein illustres Häufchen Intellektueller…und wir mittendrin. Inzwischen war es längst nach 10.00 Uhr. Der Herr, der uns gefragt hatte, ob wir auch dazugehören, stellte sich an das Rednerpult und begann mit seiner Ansprache. Es stellte sich heraus, er war der Vorsitzende des Peißnitzhaus-Vereins. Dass man so unpünktlich begann, lag an dem noch fehlenden Künstler. Der russische Musiker Juri Butt wollte Volksweisen auf dem Akkordeon spielen, hatte aber mal etwas über die Einhaltung des akademischen Viertels gehört, was in bestimmten Kreisen zum guten Ton gehört. Nun würde man halt ohne ihn beginnen.
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