Ich denke gern an unsere alte Küche zurück. Das war unser Hauptaufenthaltsraum, der eigentlich den Namen Wohnzimmer zu Recht verdient hätte. Hier wurde nicht nur gekocht und gegessen, sondern es wurde auch geredet, Musik gehört; das war mein Spielzimmer. Ein eigenes Kinderzimmer hatte ich nicht. Wir lebten damals in einer 2-Raum-Teilwohnung. Bad und Toilette mussten wir mit unseren Nachbarn teilen, die ebenfalls eine kleine Tochter hatten und für den vorderen Teil der ehemals hochherrschaftlichen Wohnung Miete zahlten. Ich war etwa 3 Jahre alt, als mir mein Uropa ein paar selbstgebaute Möbel für die Puppenstube schenkte. Sie sahen ziemlich grob und plump aus, aber die Schränke ließen sich öffnen, und ich fand es wunderbar, wenn ich meine kleinen Püppchen in den mit Taschentüchern ausgelegten Betten schlafen lassen konnte. Nur hochheben durfte ich sie dann nicht. Sie wären sonst durchgefallen, denn die Betten hatten lediglich Rahmen, aber keine Böden. Egal! Dazu schenkte er mir einen Satz Aluminiumtöpfchen für den Puppenherd. Das war eine feine Sache, denn nun konnte ich die Eltern mit meinen Kochkünsten “bezaubern”. Ich hatte da ein wunderbares Gericht, wofür man mir ruhig den goldenen Kochlöffel hätte überreichen können. Es hieß “Plempe”, sah so aus und schmeckte auch so. Dazu goss ich Wasser in das Töpfchen und dann plünderte ich Mutters Küchenschrank. In jede Suppe muss Salz, außerdem Pfeffer, Paprika (wegen der Farbe), Kümmel, einige Reiskörner, 4 oder 5 Nudeln, ein Spritzer Maggi, Zucker, Zimt und ein Löffelchen Senf kann auch nicht schaden. Umrühren - fertig! Wer einmal von dieser Delikatesse gekostet hat, wird sich ewig daran erinnern. Meine Eltern durften daran nur nippen, denn ich war von meinen Kochkünsten so überzeugt, dass ich dieses Festmahl genießerisch allein verspeiste. Es muss wohl tatsächlich gut gewesen sein, denn ich habe mich danach nie über Magenschmerzen beklagt. In unserer Küche stand ein altes Chaiselongue. An einer Ecke fehlte bereits die Federung und an Größe und Form erkannte man, das war der Stammplatz meines Vaters. Hier saß er, wenn er seinen Kaffee trank, wenn er seine Zigarette rauchte, wenn er die Zeitung las und wenn er sie dann später mit einem langen Messer in kleine handliche Stücke zerschnitt. Diese wurden feinsäuberlich gebündelt und nebenan auf dem stillen Örtchen deponiert. Toilettenpapier von der Rolle kannte hier damals noch niemand. Neben der Küche befand sich das sehr schöne, grün geflieste Bad mit seinem allerwichtigsten Möbel, dem nach unten geöffneten Thron, ein Lieblingsort von mir. Ich bin nicht unmusikalisch und in diesem Bad gab es eine herrliche Akustik. So saß ich also auf dem Thron und sang wie ein junger Gott. Ich sang laut und lange; so lange, bis mein gesamtes Repertoire erschöpft war, und das konnte dauern ... Wenn mir das nicht reichte, erfand ich eigene Lieder mit schrecklich vielen Strophen. Manchmal kam es vor, dass der Nachbar ungeduldig an die Tür klopfte. “ Ilona, dauert es noch lange?” „Ich bin noch nicht fertig.“ Der Nachbar hüpfte von einem Bein aufs andere und klein Ilona sang engelsgleich und teuflisch lange. Irgendwann wird es aber auch dem besten Jungstar auf dem Klo zu ungemütlich und wenn dann der markerschütternde, erlösende Schrei ertönte: „Muuuttiii, fääärtich!“, dann atmete der der arme gequälte Nachbar auf, oder er war plötzlich verschwunden, und ich weiß bis heute nicht, warum. Kennt noch jemand diese schweren, hässlich grauen Zinkwannen? Die gab es in verschiedenen Größen und gehörten einfach in jeden Haushalt. An die leichten, farbenfrohen Plastikerzeugnisse war Anfang der sechziger Jahre noch nicht zu denken. In solch ein Monstrum also stellte meine Mutter ein Waschbrett. Es war ein ganz selbstverständlicher Anblick, wenn sie so mit viel Mühe und Kraft die Handtücher oder Vaters Arbeitssachen schrubbte. Anschließend wurde frisches Wasser aufgesetzt und dann saß ich drin mit Entchen und allerhand anderem Spielzeug. Das brauchte ich unbedingt, denn das Waschen war nur eine lästige Begleiterscheinung. Im Wasser herum zu planschen und zu manschen, Schiffe versenken, Puppenhohlkörper voll laufen zu lassen, um sie dann spritzend wieder von ihrer Füllung zu befreien; das war was Herrliches! So ganz nebenbei löste sich auf diese Weise auch der Sandkastenstaub.