zuletzt aktualisiert 2020
Etwa die Mitte der Leipziger
Straße bildet die Kreuzung
Hansering mit dem vorhin schon
vorgestellten Leipziger Turm.
Fast ein Wahrzeichen ist das
Zigarren-Eck, was trotz des
großen Sinneswandels in Sachen
Tabak dort schon seit Ewigkeiten
existiert und hoffentlich auch
bleibt. Wir orientieren uns in
Richtung Waisenhausring. Es geht
vorbei an der Goetheschule, deren
Schulhof noch ein kleines Stück
Originalstadtmauer abschließt.
Wir kehren zurück zur Leipziger Straße. Sie hatte schon immer Hauptstraßenstatus, doch allein der
Gedanke an den Galgen wirkte abschreckend. Reiche Patrizierfamilien zögerten, sich hier
anzusiedeln. So gab es bis Mitte des 19. Jahrhunderts kaum repräsentative Häuser. Erst mit der
Namensänderung wurde die Straße auch als gute Wohngegend attraktiver. Lediglich die
Ulrichskirche, seit 1976 ausschließlich als Konzerthalle genutzt, und der Leipziger Turm erinnern an
die ältere Geschichte der Straße.
Adolf-Hitler-Ring
Leipziger Straße
Zigarrenladen in den
Fünfzigern
Hansering 2004
Sehen wir zur anderen
Straßenseite, erkennen wir direkt
hinter der Hochstraße einen sehr
langen, hellen Fachwerkbau. Mit
100 Metern Länge stehen wir vor
dem längsten Fachwerkhaus
Europas. Ich empfehle einen
Besuch der Franckeschen
Stiftungen.
Hierbei handelt es sich um eine Schulstadt (auch Bildungskosmos genannt), einem weiträumigen
Komplex von Schul-, Wirtschafts- und Verwaltungsbauten; geschaffen Ende des 17. Jahrhunderts
von August Hermann Francke (1663 – 1727). 1692 übernahm Francke als Pfarrer und Professor für
griechische und orientalische Sprachen die Gemeinde St. Georg in Glaucha, einer Amtsstadt vor
den Toren Halles. Was er dort vorfand war erschütternd. Es herrschte bitterste Armut,
Verwahrlosung und Sittenverfall. Ungehemmter Alkoholkonsum stand auf der Tagesordnung. Von
200 Wohnhäusern wurden allein in 37 Häusern hochprozentige Getränke ausgeschenkt. Besonders
erschreckend für den engagierten Vertreter des Pietismus war die große
Anzahl elternloser, verwahrloster Kinder. Besitzlosen wurde kein Zuzug
in die Stadt erlaubt. Sie mussten vor den Stadttoren ein Unterkommen
finden. Francke wurde zum Sozialarbeiter. Er verteilte Lebensmittel und
lud „Gassenarme“ in sein Wohnhaus ein. Damit hoffte er, den ein oder
anderen zu zivilisieren und zu einem gottesfürchtigen Menschen
erziehen zu können. 1692 verwendete Francke eine großzügige Spende,
um eine Armenschule zu errichten. Man nahm dies sehr wohlwollend zur Kenntnis, sodass weitere
finanzielle Unterstützung folgte. 1696 eröffnete auch das erste Waisenhaus, und es wurde ständig
erweitert. Francke schlug zwei Fliegen mit einer Klappe. Er erwarb gezielt die Wirtshäuser, ließ diese
sofort schließen, investierte und funktionierte sie als Waisenhäuser um. So stand z.B. der Gasthof
„Zum güldenen Adler“ am heutigen Franckeplatz. Hier bezahlte Francke 1698 eine Summe von
19000 Talern und ließ 71 Waisenknaben einziehen. Der Adler aber blieb Symbol für die Arbeit der
Stiftung. Das Privileg dafür wurde Francke 1698 erteilt, sodass in 3 Jahrzehnten ein gewaltiger
Komplex von Arbeits- und Wohnstätten für Tausende arme und elternlose Kinder wuchs. Auffällig ist
das schöne Haupthaus mit der Architektur eines Herrenhauses. Die Grundlagen für die
Eigenfinanzierung seiner Stiftungen bildeten der Verkauf von Arzneien in einer eigenen Apotheke,
eine Druckerei und ein Bibelvertrieb, da die Schulstadt allein von Spenden nicht mehr zu unterhalten war.
Der Wahlspruch August Hermann Franckes:
»Die auf den Herrn harren, kriegen neue
Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie
Adler«